Es kam aus dem Wald, aber war das Mützchen voll Schnee? Nun das weiß ich nicht genau!
Schon als Kind habe ich mir Gedanken gemacht, ob der Weihnachtsmann oder das Christkind die Geschenke bringt.
Bei uns im Haus war man da durchaus unterschiedlicher Ansicht. In der Wohnung meiner Eltern kam stets das Christkind, während bei meinen Großeltern unten im Haus immer der Weihnachtsmann die Geschenke brachte.
Natürlich hat wohl jeder von uns auch schon den Weihnachtsmann gesehen.
Bei uns im Dorf kam er jedes Jahr zur Adventsfeier die von der Ortsgruppe des Deutschen Roten Kreuz im Deutschen Haus ausgerichtet wurde und zu der wir Schulkinder gingen, um einige Lieder und Gedichte vorzutragen. Das war schon unheimlich, wenn dieser große Kerl mit seiner Leibesfülle den Saal betrat. Er hatte immer einen schweren roten Mantel an und trug einen großen Sack. Und während er wild mit der Rute herumfuchtelte erklang unter seinem weißen Bart, der irgendwie eher an Watte erinnerte, in einem tiefen Bariton: „Kinder, wart Ihr denn auch alle brav?“. Das waren schreckliche Sekunden, denn in diesem Moment gingen mir die Streiche der letzten Wochen noch einmal durch den Kopf. Aber wir antworteten natürlich alle im Chor: „Ja!“ Die einen halt eher schüchtern oder gar ängstlich, die anderen freudig (das müssen wohl die Braven gewesen sein). Nun ja, die Stimme des Weihnachtsmannes hatte schon Ähnlichkeit mit der unseres Hauptlehrers. Und waren das nicht auch die gleichen Schuhe? War es wirklich unser Hauptlehrer? Aber der neigte eigentlich nicht zur Fettleibigkeit! Einige der Viertklässler waren allerdings der Meinung, dass es den Weihnachtsmann überhaupt nicht gäbe.
Aber wir durften natürlich alle nach vorne kommen und in seinen großen Sack hineingreifen. Da waren dann auch allerhand Süßigkeiten drin: Mandarinen, Nüsse, kleine Schokoladentäfelchen und Lutscher mit der Aufschrift „Volksbank eG Siedenburg“. Aber so tief man auch hineingriff in den Sack, es war weder eine Modelleisenbahn darin, noch die Negerpuppe, die ihr Fläschchen austrinken konnte und anschließend Pippi machte und die sich meine Schwester so sehr wünschte.
Diese schönen Dinge brachte er halt erst am Heiligen Abend. Aber so sehr wir auch aufpassten, nie haben wir ihn am Heilig Abend gesehen. Weder vor dem Hause noch auf dem Dach sah man je seinen Schlitten parken. Man sah ihn auch nie herankommen, noch abfahren. Wahrscheinlich fuhr der Bursche ohne Licht! Auch war es schon recht merkwürdig, dass er sich angeblich durch den Schornstein zwängen sollte. Unser Schornstein (ich habe einmal hineinschauen dürfen als der Schornsteinfeger da war) war nicht einmal groß genug, dass ich hätte hinein kriechen können. Wie sollte dann ein solch schwergewichtiger Kerl hindurchschlüpfen. Wie wollte er in die Stube kommen? Schließlich war die einzige Reinigungsklappe des Schornsteins neben der Heizung in Omas Küche.
So kamen mir doch berechtigte Zweifel, ob der Weihnachtsmann die Geschenke bringt. Selbst Oma und Opa, die sich meist den ganzen Nachmittag in der Stube aufhielten, während wir oben im Kinderzimmer mehr oder wenig geduldig auf das Christkind bzw. den Weihnachtsmann oder auf beide warteten, waren jedes Mal erstaunt, wenn unten plötzlich der Tannenbaum mit all den Kerzen erstrahlte und die vielen Geschenke herumlagen. Aber den Weihnachtsmann hatten sie auch nicht gesehen.
Auch meine Schwester hatte einige Zweifel. So meinte sie, dass es doch eigentlich viel besser sei, wenn in das eine Haus nur das Christkind käme und in das andere Haus der Weihnachtsmann. Da die beiden doch an Heilig Abend so viel zu tun hatten, könnten sie sich die Arbeit besser einteilen. Ich weiß bis heute nicht, ob das ein logistischer Geistesblitz war oder ob sie nur meinte, dass dann die Geschenke viel eher am Bestimmungsort wären und damit die qualvolle Wartezeit verkürzt werden könnte.
Wie auch immer. Ob der Weihnachtsmann wirklich die Geschenke brachte, war eigentlich immer zweifelhaft. Und was trieben eigentlich Oma und Opa den ganzen Nachmittag in der Stube, in die doch eigentlich niemand hinein durfte?
Die Geschenke bringt natürlich das Christkind.
Das habe ich schließlich selbst gesehen!
Vor Zeugen!
Und meine Schwester auch.
Auch mein Bruder!
Jedes Jahr am Heiligen Abend kam also das Christkind, während wir geduldig im Kinderzimmer warteten (erwähnte ich glaub´ ich schon). Es war schon dunkel geworden und rund um das Haus, wir wohnen auf einem Gehöft außerhalb des Ortes und fernab von größeren Straßen, war es fast gespenstisch still.
Und dann war es so weit!
Es klingelte an der Haustür.
Das macht das Christkind übrigens immer so. Jedenfalls bei uns.
Auf dieses Signal hin rissen wir die Tür des Kinderzimmers auf und stürmten mit lautem Gepolter die Treppe hinunter. Aber so sehr wir uns auch beeilten, mein Vater war stets als erster unten an der Haustür. Wir liefen hinaus und stellten uns auf die kleine Mauer neben der Haustür und dann warteten wir. Das Christkind fuhr nämlich immer erst zu uns und danach entweder durch den Wald nach Päpsen und von dort nach Siedenburg oder umgekehrt, von uns nach Siedenburg und dann nach Päpsen.
Woher ich das weiß? Ich hab es mit eigenen Augen gesehen. Alle Jahre wieder.
Steht man nämlich auf der Mauer, dann sieht man über den Gartenzaun hinweg ein Stück von der Päpser Straße. Ganz weit hinten, denn die Straße ist immerhin fast zwei Kilometer von unserem Haus entfernt. Aber wenn man nun ganz still steht und gut aufpasst, dann sieht man dort ein Licht entlang fahren und dass ist das Christkind. Manchmal dauert das natürlich einen Augenblick. Insbesondere dann, wenn das Christkind erst in Siedenburg die Geschenke verteilt und dann nach Päpsen fährt, denn Siedenburg ist deutlich größer. Und ich bin sicher, dass es das Christkind ist, schließlich hat es ja gerade eben noch an unserer Tür geklingelt und zweitens würde das Christkind nicht ohne Licht fahren.
So ist es noch heute! Immer noch klingelt das Christkind bei uns. Immer noch kann man es kurze Zeit später die Päpser Strasse entlang fahren sehen. Die großen Kinder sind manchmal nicht ganz sicher ob es wohl auch ein Auto sein könnte, dass dort entlang fährt. Aber wer fährt schon am Heiligen Abend mit dem Auto ausgerechnet von Päpsen nach Siedenburg und das zu einer Zeit in der jeden Moment das Christkind kommen könnte?
Aber die Kleinen sind sich sicher: „Ich hab das Christkind gesehen!“
Ich weiß genau, auch im nächsten Jahr wird es wieder klingeln.
Das macht das Christkind übrigens immer so. Jedenfalls bei uns.
Sicher ist auch, dass ich jetzt immer zuerst an der Haustür stehe, wenn es geklingelt hat. Auch wenn sich alle noch so beeilen, ich bin immer der Erste. Und wenn wir alle einen kleinen Augenblick still sind und geduldig warten, dann können wir davon erzählen:
„Denkt Euch, ich hab das Christkind gesehen!“